Alte Sonnencreme kann Krebs erregen

Alte Sonnencreme kann Krebs erregen
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Pressemitteilung von onkoderm e.V.
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Am 8.3.2021 veröffentlichte die ARD (Stefanie Markert, ARD-Studio Paris) einen Beitrag unter dem Titel „Alte Sonnencreme kann Krebs erregen“.

Der Beitrag stützt sich auf eine amerikanisch-französische Studie, die im Fachjournal „Chemical Research in Toxicology“ veröffentlicht wurde (1). Die Autoren dieser Arbeit bestimmten den Gehalt eines Nebenproduktes (Benzophenon) in insgesamt 16 Sonnenschutzmitteln, die den Filter Octocrylene enthielten. Die französischen Forscher erklärten im Interview: „Kommt Benzophenon auf die Haut, kann es Ausschläge, Entzündungen oder Überempfindlichkeiten auslösen, aber auch Leberkrebs oder Lymphome.
Das Molekül beeinträchtige die Schilddrüse und die Fortpflanzungsorgane“. Die französischen Forscher fordern ein Verbot der beiden Substanzen. Inzwischen wurde diese Arbeit von anderen Mediengruppen aufgegriffen, die Gefahrendarstellung der Forscher unkritisch übernommen und in der Öffentlichkeit weiterverbreitet (z.B. 27.05.2021 ntv.de). Dem entgegen mehren sich Expertenstimmen, die die Schlußfolgerungen der französischen Autoren in Frage stellen. Zusätzlich werden potentielle Interessenskonflikte der französischen Autoren mit der kosmetischen Industrie offenbart: YouTube-Video.

Aufgrund der zunehmenden Verunsicherung der Bevölkerung durch diese Pressemeldungen und andererseits der hohen Relevanz von Lichtschutzpräparaten zur Prävention von Hautkrebs und Hautkrebsvorläuferläsionen hat das Netzwerk niedergelassener Dermato-Onkologen „onkoderm e.V.“ eine intensive Analyse und Bewertung der experimentellen Studie aus Frankreich vollzogen. Die Bewertung der Analyse erfolgte im Rahmen eines interdisziplinären Board-Meetings unter der Einbeziehung eines ausgewiesenen Experten für Dermatopharmakologie – Prof. Dr. Christian Surber, Universität Basel und Zürich.

In der zu bewertenden experimentellen Studie wurde mit ausgesuchten Sonnenschutzmitteln über eine „beschleunigte Stabilitätsprüfung“ (6 Wochen, 40°C, 75% relative Luftfeuchte) die Alterung der Produkte über ein Jahr simuliert. Anschließend wurden erhöhte Benzophenon-Konzentrationen in octocrylenhaltigen Sonnenschutzmitteln festgestellt. Die Autoren bewerten ihre Ergebnisse mit einer Gefahrendarstellung auf die mögliche Exposition der Haut gegenüber Benzophenon. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass die Autoren nicht das gesamte für Benzophenon vorhandene toxikologische Datenpaket berücksichtigt haben, sondern nur bestimmte Studien ausgewählt wurden, um ihre Schlußfolgerungen zu ziehen. Das Autorenteam bewertet Benzophenon vor dem Hintergrund eines einzigen Gesetzes, das primär für den Bundesstaat Kalifornien der USA gilt.

Der „Safe Drinking Water and Toxic Enforcement Act“, auch bekannt als „Proposition 65“, wurde 1986 im Bundesstaat Kalifornien per Volksabstimmung eingeführt. „Proposition 65“ verpflichtet den Bundesstaat, eine aktive Liste von Substanzen zu veröffentlichen und zu pflegen, die potentiell Krebs, Geburtsfehler und/oder Fortpflanzungsschäden verursachen können. Heute umfasst die Liste über 1.000 Substanzen die in Lebensmitteln, Medikamenten und auch in einer Reihe von üblichen Haushaltsprodukten enthalten sind (2). Das „Office of Environmental Health Hazard Assessment“ (OEHHA) legt Grenzwerte (Safe-Harbor-Levels) für die unter Proposition 65 aufgeführten Substanzen fest.

Hersteller mit Produkten, die Substanzen in Konzentrationen über diesem Grenzwert enthalten, sind für die Unterrichtung der Allgemeinheit verantwortlich.

Aus diesem Grund sind in Kalifornien beispielsweise auf allen alkoholischen Getränken Warnhinweise aufgebracht: „Drinking destilled spirits, beer, coolers, wine and other alcoholic beverages may increase cancer risk, and, during pregnancy, can cause birth defects“. In anderen US-Staaten werden andere Regulierungen getroffen. Auch die EU erlaubt Grenzwerte von Octocrylene und Benzophenon die unter realistischen Bedingungen durch Sonnenschutzmittel bei weitem nicht erreicht werden. Das Autorenteam der französischen Studie bewertet Benzophenon vor dem Hintergrund eines einzigen Gesetzes, das primär für den Bundesstaat Kalifornien der USA gilt – und dieses obwohl drei der fünf Autoren aus Europa stammen. Das andere Gesetzgebungen zu anderen Schlüssen führen können, wird in der Publikation weder erwähnt noch diskutiert.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die tatsächliche Relevanz des von den Autoren verwendeten Verfahrens der sog. „beschleunigten Stabilitätsprüfung“. Es wird bezweifelt, dass dieses Verfahren geeignet ist, eine chemische Gleichgewichtsreaktion zu charakterisieren, die unter normalen Gebrauchs- und Lagerungsbedingungen z.B. von Sonnenschutzmitteln stattfindet. Eine Diskussion und Bewertung des Testsystems durch die Autoren erfolgten nicht. Weiterhin warnt das Autorenteam vor der hohen Absorption von Benzophenon (70% der applizierten Dosis) aus dermatologischen Produkten und bezieht sich dabei auf eine Arbeit von Bronaugh und Mitarbeitern (3). Dieser Bezug ist jedoch inkorrekt, da es sich bei diesem „dermatologischen Produkt“ um eine acetonische Lösung mit Benzophenon handelt (4). Die Applikation von in Aceton gelösten Substanzen mit anschließender Okklusion ist eine realitätsfremde Applikationsart, die in der Publikation nicht diskutiert wird.

Weiterhin werden in der Arbeit Ergebnisse aus in-vitro Experimenten und Tierversuchen zitiert, die eine Genotoxizität, Karzinogenität und Fortpflanzungsstörung durch Benzophenone vermuten lassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (5) beurteilt allerdings Benzophenon nicht als genotoxisch bedenklich. Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Stoffbewertung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) unter REACH (6).
Von der International Agency für Research on CANCER (IARC) und der EFSA wurde kein Nachweis für eine Kanzerogenität von Benzophenonen nach dermaler Exposition erbracht (7). Auch konnte in subchronischen und chronischen Reproduktions- und Entwicklungstoxizitätsstudien kein Nachweis einer Fortpflanzungsstörung durch Benzophenon beobachtet werden.

Die Expertengruppe von onkoderm e.V. kommt nach der kritischen Überprüfung der Publikation der Arbeit von Downs et al. zu dem Ergebnis, dass die Autoren die Grundprinzipien der Risikobewertung, alle verfügbaren Informationen abzuwägen, nicht befolgt haben. Die EU erlaubt den Einsatz von Octocrylen als UVB-Filter in Kosmetika in Konzentrationen bis zu 10% (8). Auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands zeigt dieser organische UV-Filter keine Wirkung, die möglicherweise Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben könnte. Die Exposition gegenüber Benzophenon durch Sonnenschutzmittel kann unter realistischen Anwendungsbedingungen, als vernachlässigbares Risiko für den Verbraucher angesehen werden. Sonnenschutzmittel sollten lichtgeschützt, verschlossen und bei Raumtemperatur gelagert werden.
Von der Verwendung über das Mindesthaltbarkeitsdatum oder die Haltbarkeit nach dem Anbruch hinaus wird generell abgeraten.

Kontakt: onkoderm e.V. · Geschäftsstelle · August-Bebel-Straße 36 · 15517 Fürstenwalde
Telefon: 03361-5062490 · Telefax: 03361-5062499 · presse@onkoderm.de


Referenzen

1. Downs CA, DiNardo JC, Stien D, Rodrigues AMS, Lebaron P. Benzophenone Accumulates over Time from the Degradation of Octocrylene in Commercial Sunscreen Products. Chem Res Toxicol. 2021 Apr 19;34(4):1046-1054. doi: 10.1021/acs.chemrestox.0c00461

2. Office of Environmental Health Hazard Assessment (OEHHA). Proposition 65. Available from https://oehha.ca.gov/proposition-65, viewed 23/04/21

3. Bronaugh RL, Wester RC, Bucks D, Maibach HI, Sarason R. In vivo percutaneous absorption of fragrance ingredients in rhesus monkeys and humans. Food Chem Toxicol. 1990 May;28(5):369-73. doi: 10.1016/0278-6915(90)90111-y

4. Bucks DA, McMaster JR, Maibach HI, Guy RH. Bioavailability of topically administered steroids: a „mass balance“ technique. J Invest Dermatol. 1988 Jul;91(1):29-33. doi:10.1111/1523-1747.ep12463284

5. EFSA Panel on Food Contact Materials, Enzymes, Flavourings and Processing Aids (CEF), Silano V, Bolognesi C, Castle L, Chipman K, Cravedi JP, Engel KH, Fowler P, Franz R, Grob K, Gürtler R, Husøy T, Kärenlampi S, Milana MR, Pfaff K, Riviere G, Srinivasan J, Tavares Poças MF, Tlustos C, Wölfle D, Zorn H, Benigni R, Binderup ML, Brimer L, Marcon F, Marzin D, Mosesso P, Mulder G, Oskarsson A, Svendsen C, Anastassiadou M, Carfì M, Saarma S, Mennes W. Safety of benzophenone to be used as flavouring. EFSA J. 2017 Nov 14;15(11):e05013. doi: 10.2903/j.efsa.2017.5013

6. European Chemicals Agency (ECHA). Evaluation under REACH. Progress Report 2015: Safer Chemicals – Focusing on what matters most. February 2016. doi: 1010.2823/22390

7. IARC monographs on the evaluation of carinogenic risks to humans. Some chemicals present in industrial and consumer products, food and drinking-water. Volume 101, Lyon, France 2013. ISBN-13 (PDF) 978-92-832-0139-7.

8. Scientific Committee on Consumer Safety. OPINION on Octocrylene, SCCS/1627/21. Available from: Download Hier!

Unser ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Surber, der uns wissenschaftlich unterstützt und umfassend beraten hat:

Prof. Dr. phil. nat. Christian Surber
Senior Fellow Scientist Universitätsspital Zürich · Dermatologische Klinik
Gloriastrasse 31 · CH-8091 Zürich, Schweiz · christian.surber@unibas.ch

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